Gott sei dank, endlich Freitag!

Nein Moment, da hab ich was verwechselt.

Also nochmal: Gott sei Dank, endlich Feierabend!

Das bedeutet: Raus aus der Arbeitskluft und rein ins Vergnügen. Aber wie wollen wir die freie Zeit füllen? Motorrad fahren? Auf den Jahrmarkt? Angeln?

Ich habe eine bessere Idee: Lasst uns spielen. Und zwar Feierabend, das frisch erschienene 2F-Spiel von Friedemann Friese, bei dem es darum geht, per After-Worker-Placement mehr Erholung zu sammeln als die anderen Spielerinnen.

Erholung kannst du? Na, sei dir da mal noch nicht so sicher.

Name: Feierabend
Designer: Friedemann Friese
Verlag: 2F-Spiele

Spielerinnen: 1-7
Spieldauer: 1:00
Erschienen: 20200826

Lektionen in Erholung: Raus aus dem Hamsterrad

Wir kennen den Spruch aus den Selbsthilfe-Ratgebern für überarbeitete und midlife-kriselnde Mitglieder der oberen Mittelschicht: Entkomme dem Hamsterrad, mach dein eigenes Ding, entfalte dein wahres Potenzial.

Unsere Arbeiterinnen im selbsternannten After-Worker-Placement Spiel Feierabend haben aber ganz andere Probleme. Ihnen geht es nicht um Selbstfindung und Leidenschaften. Sie kämpfen mit 70 Stunden Arbeitszeit pro Woche, bekommen gerade genug Gehalt für einen ordentlichen Jahrmarkt-Besuch und selbst ein Feierabend-Bier in der Kneipe stellt eine ernsthafte finanzielle Abwägung dar.

Jede von euch verfügt über 4 bis 7 solcher Arbeiterinnnen, abhängig davon, an welcher Stelle in der Spielreihenfolge ihr jeweils an der Reihe seid. Bist du am Zug, stellst du eine Arbeiterin (manchmal auch mehrere) auf ein freies Aktionsfeld. Die meisten dieser Aktionsfelder geben dir unterschiedliche Mengen Erholung, einige davon kosten Geld und einige wenige können deine Figuren nur besuchen, wenn sie sich vorher bei einem Blind Date eine Partnerin angelächelt haben.

Blind Dating mit Erfolgsgarantie. Und die neue Partnerin kommt danach gleich mit in die Fabrik.

Sind alle deine Worker eingesetzt, endet der Spaß. Du musst deine Arbeiterinnen zurück in die Fabrik ans Fließband schicken und bekommst dein mageres Einkommen. Außerdem schickt dir die Gewerkschaft ein kleines Paketchen mit Streikmarkern (mehr dazu später). Allerdings bekommst du auch – wie gesagt: 70 Stunden Arbeitswochen – jede Menge Stress, also negative Erholung. Und zwar nicht wenig. Durch Joggen, Motorradfahren oder Angeln hast du dir in deiner Freizeit also schön Erholung geholt. Dann kommt die Arbeitszeit und, schwupp, hat dich der Alltag wieder und du bist wieder so ziemlich auf 0. Oder sogar im negativen Bereich, wenn du Pech hattest und der Jahrmarkt schon voll war, als du dort ankamst.

So kommst du nicht aus dem Hamsterrad. Was ist also die Lösung? Nein, deine Arbeiterinnen können nicht einfach kündigen und ihr eigenes Ding machen. Sie haben nicht genug Geld, um sich von einem Lifecoach sagen zu lassen, dass sie einfach nur ihre Leidenschaft finden müssen, um ihr wahres Potenzial abzurufen. Und der Markt an Bloggern, Youtubern und Podcastern ist langsam auch übersättigt. Was bleibt also noch?

Sie können das machen, was auch in der echten Welt geholfen hat, die Lebensbedingungen von Arbeiterinnen auf der ganzen Welt zu verbessern: Organisation, Widerstand und Streik.

Ist etwa auch die Freizeit nichts anderes als weitere Hamsterräder?

Statt deine Arbeiterinnen auf Erholungsfelder zu stellen, kannst du sie nämlich auch zur Gewerkschaft schicken. Dort erhalten sie Streitmarker. Und wenn du genug davon gesammelt hast, kannst du einen Streik ausrufen. Dann gibst du deine Streikmarker ab und darfst dafür einige Grundwerte verbessern: Du kannst dein Gehalt erhöhen. Du kannst deinen Einfluss in der Gewerkschaft steigern, um in Zukunft mehr Streikmarker zu erhalten. Du kannst die Arbeitszeit verkürzen, wodurch die Arbeit weniger stressig wird. Und du kannst dir Urlaub freischalten, eine der besten Möglichkeiten, um dir Erholung zu verschaffen. Außerdem gilt es, den Gender-Paygap abzubauen. Das funktioniert zwar auch nicht sonderlich anders, als das Einkommen zu erhöhen, ich finde es trotzdem richtig gut, auch dieses gesellschaftliche Problem im Spiel repräsentiert zu sehen.

Zeit ist Geld – aber auch Stress

Wir haben also inzwischen vier verschiedene Währungen: Erholung gewinnt dir das Spiel, mit Geld bekommst du mehr Erholung, mit Partnerinnen bekommst du bei manchen Aktionen noch mehr Erholung und mit Streikmarkern kannst du dir langfristige Vorteile verschaffen.

Es gibt aber noch eine weitere, etwas verstecktere Währung, und die ist: Zeit. Ein wichtiges Element des Spiels habe ich oben nämlich nur angedeutet, aber noch nicht beschrieben. Dabei handelt es sich um das (neben dem Thema) größte Alleinstellungsmerkmal des Spiels. In den meisten Worker Placement Spielen setzen du und deine Mitspielerinnen abwechselnd ihre Arbeiterinnen ein und wenn alle fertig sind, gibt es eine Aufräumphase. Dann entfernt ihr gleichzeitig alle Worker von ihren Feldern und der Spielplan wird wieder sauber und leer wie der Teller, auf dem hier vor 5 Minuten noch ein Stück Schokokuchen lag.

In Feierabend dagegen hat jede von euch ihren eigenen Worker-Zyklus. Wenn du keine Arbeiterinnen mehr hast, dann bekommst du dein Gehalt, deinen Stress und deine Arbeiterinnen zurück, die Runde geht aber ganz normal weiter. Wenn die anderen noch Arbeiterinnen haben, führen sie weiter Aktionen aus. Und wenn du wieder an der Reihe bist, setzt du ebenfalls schon wieder neue Arbeiterinnen ein.

Brettspiele am Fließband klingt in der Theorie auch besser als in der Praxis.

Das Ganze wäre natürlich etwas sinnlos, wenn du keine Möglichkeit hättest, um dein Spiel zu beschleunigen oder zu bremsen. Deshalb gibt es einige besondere Felder, auf die du mehr als eine Figur stellen darfst: In die Kneipe oder ins Wohnzimmer darfst du bis zu 3 Figuren auf einmal stellen. Diese Felder stehen immer zur Verfügung, auch wenn schon Figuren darauf stehen. Du verdienst dort zwar nicht viel Erholung, aber du kannst dort theoretisch in 2 bis 3 Runden deinen Freizeitzyklus beenden. Das bedeutet: Du bekommst schneller wieder dein Einkommen und neue Streikmarker. Aber auch Stress.

Bremsen kannst du dagegen, indem du streikst. Denn in Streik-Runden setzt du keine Arbeiterin ein. Das bedeutet natürlich, dass du auch länger auf dein Einkommen warten musst.

Aus diesem Zwiespalt ergibt sich viel Spannung: Willst du gerade schnell machen, um dir schneller deinen Traumurlaub leisten zu können? Oder lebst du lieber im Jetzt und amüsierst dich beim Joggen, auf dem Jahrmarkt oder – wie auch immer das gehen soll – beim Angeln?

Ist es jetzt Arbeit oder Freizeit?

Feierabend ist ein mathematisches Spiel. Man hat von Anfang an das Gefühl, dass man das Puzzle lösen kann, wenn man nur lange genug darüber nachdenkt. Zumindest, wenn die Mitspielerinnen nicht wären. Denn die bringen ein gewisses Maß an Unsicherheit ins Spiel. Das Spielende wird nämlich eingeleitet, sobald eine Spielerin zu irgendeinem Zeitpunkt mehr als 40 Erholung hat. Danach geht das Spiel nur noch, bis alle Fabriken leer sind. Es werden keine Arbeiterinnen mehr zurückgeholt. Aber Stress gibt es zum Abschluss trotzdem noch einmal für alle. Du musst also immer ein Auge darauf halten, ob deine Mitspielerinnen womöglich das Spielende einleiten.

Das Optimierungs-Rätsel in Feierabend ist durchaus interessant und vor allem ungewohnt. Es kommt mit verhältnismäßig wenigen Elementen aus, gibt aber trotzdem genug taktische wie auch strategische Möglichkeiten, um sich ordentlich die Gehirnwindungen beim Optimieren zu verknoten.

Dabei habe ich zwar Spaß, aber es reißt mich noch nicht vom Hocker. Aber das Spiel ist auch nicht wegen der Mechanik in meiner Spielesammlung gelandet, sondern wegen zwei anderer Punkte.

Zum einen fühlt man sich beim Spielen tatsächlich ständig wie im Hamsterrad. Besonders in den ersten Runden, wo fast der gesamte Fortschritt wieder zunichtegemacht wird. Du stürzt dich mit vollem Einsatz in die Erholung – und schwupp hat dich der Arbeitsalltag wieder.

Rosie und Rosa in einem Spiel. Das ist doch gleich mal ein sehr guter Anfang.

Zum anderen feiere ich das Spiel wegen des innovativen, humorvollen und gleichzeitig gesellschaftlich spannenden thematischen Twists. Das Spiel feiert im kleinen Rahmen Widerstand und sozialen Fortschritt. Dabei ist zwar noch längst nicht alles perfekt (nur weiße Männer auf der Schachtel; nur Hetero-Paare bei Partner-Aktionen abgebildet; Anleitung im generischen Maskulinum, “divers” als drittes Geschlecht wird zwar in der Anleitung einmal erwähnt, dann aber wieder vergessen), trotzdem ist es eine erfrischende Abwechslung im sonst oft von Kolonialismus und Ausbeutung geprägten Brettspiel-Hobby.

Und dass das Spiel auch noch Spaß macht, ist dann noch das Sahnehäubchen.