Die Natur hat schon ihre schönen Seiten, findest du nicht auch? Im Sonnenaufgang auf einem Berg sitzen und der Umwelt beim Erwachen zusehen. Im Spätsommer auf der Wiese liegen und Vogelformationen am Himmel beobachten. Unter einer Weide am See sitzen und die Gedanken schweifen lassen.

Zum Genießen.

Aber ich bin auch immer wieder ganz froh, dass mein Aufenthalt in der Natur zeitlich begrenzt ist und ich irgendwann die Tür hinter mir schließen, eine entspannende Dusche genießen und mich dann im gemütlichen Bett zusammenrollen kann.

Auf einem einsamen Kontinent aufzuwachen und um mein Überleben zu kämpfen, steht dehalb nicht unbedingt auf meiner Bucket-Liste mit Dingen, die ich in meinem Leben unbedingt getan haben muss.

Zum einen ist es dort ziemlich schwer an neue Spiele zu kommen. Zum anderen weiß ich dank des Erkundungs- und Überlebensspiels The 7th Continent: Man muss insgesamt 29 verschiedene Skills beherrschen, um dort überleben zu können. Das klingt ziemlich anstrengend.

Andererseits: In einer Zitadelle ist es noch schlimmer. Denn dort sind 3 zusätzliche Fähigkeiten gefragt. Ist das zu viel? Ist das zu wenig? Ist das genau richtig? Wir müssen uns jetzt entscheiden, denn der Kickstarter für The 7th Citadel läuft morgen ab.

Name: The 7th Continent
Designer: Ludovic Roudy, Bruno Sautter
Verlag: Serious Pulp

Spielerinnen: 2017
Spieldauer: 1-4
Erschienen: 2017

Deshalb erzähle ich dir heute nochmal, warum ich meine Zeit auf dem einsamen Kontinent sehr genossen habe. Vielleicht hilft dir das ja bei der Beantwortung der Fragen: Solltest du gleich den Rocky-Soundtrack auflegen und dich ans Trainieren all der Skills machen? Solltest du The 7th Citadel noch unterstützen? Oder lieber warten, bis Ende des Jahres die deutsche Version von The 7th Continent bei Pegasus erscheint?

Überleben 101

29 verschiedene Fähigkeiten zu lernen, klingt erstmal einschüchternd. Zum Glück ist der siebte Kontinent dabei recht zuvorkommend: In appetitlichen weißen Quadraten präsentiert er uns immer, welche der Aktionen wir aktuell ausführen können.

Du befindest dich beispielsweise am Strand des Kontinents. Bei einigen größeren Steinen im Westen siehst du ein weißes Quadrat mit dem Symbol für Angeln. Dort kannst du also Fische fangen. Du musst vom Skill-Deck eine bestimmte Anzahl zufälliger Karten abwerfen und dann deren Erfolgs-Symbole zusammenzählen. Erreichst du den für die Probe vorgesehenen Wert, dann herzlichen Glückwunsch, es gibt heute Fisch zum Abendessen. Erreichst du den Wert nicht, dann passiert nichts. Oder zumindest nichts Gutes.

Um deine Erfolgsaussichten zu steigern, spielst du Handkarten oder nutzt Gegenstände. Diese Gegenstände haben ein klein wenig Berühmtheit gewonnen, weil du sie fast beliebig kombinieren kannst und sie dadurch auf magische Weise haltbarer und kleiner werden. Spaten und Speer gleichzeitig zu tragen ist dir zu anstrengend? Dann kombiniere sie doch einfach zum Speeten. Und wo du schon dabei ist, höhle ihn aus, um es abends am Lagerfeuer als Flöte zu benutzen und Lieder von deinen Heldentaten zu spielen. Ja, das Crafting-System gehört nicht gerade zu den thematischen Höhepunkten des Spiels.

Zwei Aktionen, auf die du häufig treffen wirst, sind Bewegen und Erkunden. Es sind die zwei Aktionen, mit denen du dir den Kontinent erschließt. Denn zu Beginn deines Abenteuers siehst du nur einen winzigen Ausschnitt des Kontinents, nämlich die eine Spielkarte, auf der du aktuell stehst. Um dich herum befindet sich die Welt in geheimnisvollem Nebel verborgen.

Mit der Aktion Erkunden lüftest du diesen Nebel, überlebst (hoffentlich) ein zufälliges Ereignis und erweiterst die Landschaft um eine Karte. Was die Aktion Bewegen dann macht, kannst du dir wahrscheinlich selbst denken.

Mit diesen paar Regeln kommst du schon zurecht auf dem Kontinent. Du wanderst durch die Landschaft, erkundest neue Abschnitte der Karte und versuchst nebenher die verschiedenen Gefahren zu umgehen, mit denen die Welt dich überrascht. 

Achte nur darauf, dass der Aktionsstapel, mit dem du die Fähigkeitsproben ablegst, nicht ausgeht. Aber dazu später mehr.

Jetzt beschäftigen wir uns erstmal damit, warum du diese Strapazen überhaupt auf dich nimmst.

Erlesen und erleben

Geschichten werden in Brettspielen oft über Texte erzählt. Immer abwechselnd spielst du ein wenig und musst dann eine Seite in einem Buch oder eine bestimmte Karte vorlesen. Auf dem 7ten Kontinent wurde auf solche Texte weitestgehend verzichtet.

Zu Beginn des Spiels suchst du dir einen Fluch aus. Jeder davon besteht erstmal nur aus einer Karte, die du bekommst. Auf der steht ein kleiner Text, der dir erklärt, warum du dich überhaupt hier befindest. Mehr Lesematerial gibt es erstmal nicht. Danach erlebst du einfach die Geschichte durch das, was du tust.

Zusätzlich zum Text bekommst du meistens noch die Abbildung irgendeines Gegenstandes. Eine alte Karte, die dir vielleicht den Weg zu einem wichtigen Ort zeigt. Eine alte Kiste, die sich nicht öffnen lässt. Ein paar seltsame Symbole auf einem Stück Pergament.

Dieser Gegenstand ist der eigentliche Kicker für das Narrativ, denn er wirft eine Frage auf, die du beantworten willst. Wohin führt die Karte? Wie bekomme ich die Kiste auf? Was bedeuten die Symbole?

Du kannst auch einfach sagen: Mir doch egal, ich will erstmal einfach die Insel erforschen. Klar, das kannst du auch machen, es herrscht keine Eile, erforsche die Insel, suche nach versteckten Schätzen, stecke dir deine eigenen Ziele.

Das macht 7th Continent zu einem besonderen Spiel. Es gibt dir ein Ziel, um das du dich kümmern kannst. Es zwingt dich aber nicht dazu. Auf dem Kontinent gibt es genug andere Dinge zu entdecken. Du kannst dich mit der Pflanzenwelt vertraut machen und herausfinden, welche der verschiedenen Blumen dir beim Überleben helfen. Du kannst systematisch die gesamte Insel kartografieren, damit du in Zukunft immer sofort weißt, wo sich was befindet. Du kannst versuchen, einige sehr trickreiche Rätsel zu lösen, die sich über die verschiedenen Regionen des Kontinents hinweg finden lassen.

Oft genug wollte ich mich eigentlich um den Fluch kümmern, wurde dann aber von anderen Funden abgelenkt. Mal fand ich ein seltsames Amulett, dessen Funktion ich entschlüsseln wollte. Mal einen kleinen Nebenauftrag, um den ich mich zuerst kümmern wollte.

Und wenn mehrere solcher Spielerinnen zusammenkommen, dann gerät das eigentliche Ziel schnell ein wenig in Vergessenheit.

Erkunden oder Überleben

7th Continent bietet mehr spielerische Freiheit als die meisten anderen Spiele. Diese Freiheit kommt aber nicht ohne Preis.

Denn was passiert, wenn du mal die meisten (offensichtlichen) Geheimnisse gelüftet, den Kontinent komplett erkundet und die Rätsel gelöst hast?

Dann bleibt dir nur noch der Fluch, um den du dich kümmern kannst.

Auch dafür musst du dich über den Kontinent bewegen – aber den kennst du ja inzwischen schon in- und auswendig. Du läufst durch Landschaften, die du bereits gesehen hast. Du begegnest Gefahren, denen du bereits ausgewichen bist. Du kennst alle Geheimwege und Verstecke.

Es gibt fast nichts Neues mehr – und das Spiel wird dadurch langweiliger und langweiliger. Es wird zur Arbeit: Denn du musst trotzdem die Proben machen, du musst trotzdem irgendwie überleben. Aber dabei wird auch klar, dass die Mechaniken, bei denen es ums Überleben geht, längst nicht so viel Spaß machen, wie das Erkunden.

Besonders deutlich wird das durch die Hunger-Mechanik. Immer wenn du eine Probe ablegst, verlierst du Karten von deinem Aktionsdeck. Dieses Deck stellt deine Fitness dar. Wenn der Stapel einmal aufgebraucht ist, kann es jederzeit passieren, dass du stirbst. Deshalb musst du zwischendurch etwas essen, denn dann darfst du Karten zurück in den Stapel mischen. Nahrung bekommst du durch die Aktionen Jagd und Angeln, die du auf manchen Landschaftskarten ausführen kannst. Einmal zu jagen reicht aber lange nicht, um deinen kompletten Stapel wieder aufzufüllen. Dafür musst du das mehrmals machen. Die Jagd- und Angelgründe erschöpfen sich aber. Das heißt, du musst nach den nächsten suchen. Und dann den nächsten. Und den nächsten.

Wie schwach der Survival-Teil des Spiels ist, merkt man schon an der einzigen Tatsache, das Sterben einfach mal absolut keinen Spaß macht. Nochmal von vorne Beginnen und die gleichen Dinge erledigen, die ich schon gemacht habe? Nur ohne dabei auf viele Überraschungen zu stoßen? Nein Danke, da würde ich in den meisten Fällen lieber schummeln und so tun, als wäre alles gut gegangen.

Aber diese Schwächen nehme ich doch gerne in Kauf, wenn das Spiel mich ansonsten so sehr in den Bann zieht.

Was bedeutet das für 7th Citadel?

Ich bin froh, dass der Survival-Anteil beim Nachfolger 7th Citadel deutlich gekürzt wurde. Stattdessen wurden die Fähigkeitsproben interessanter gestaltet und enthalten jetzt mehr Entscheidungen.

Auch viele andere der angekündigten Neuerungen gefallen mir gut: Statt eines gemeinsamen Action-Decks bekommen alle Charakter ein eigenes Deck. Das schafft mehr Raum, um deinen Charakter individuell auszuspielen. Und zwischen den Szenarien baust du die Zitadelle und entdeckst auf der übergeordneten Landkarte (nicht der Spiel-Karte und auch nicht den Spielkarten – boah, ist das kompliziert) neue Gebiete. Das schafft langfristige Ziele und sollte das Spielerlebnis länger frisch und überraschend halten.

Das Setting ist nicht mehr ganz so einsam, wie im 7th Continent, du wirst immer mal wieder auf andere Menschen treffen. Die Begegnungen werden über ein Dialog-Buch geregelt und da bin ich so ein klein wenig misstrauisch. Durch dieses Buch kommen mehr Texte ins Spiel – das kann gut sein oder nicht. Mir gefällt, dass es sich auf Dialoge konzentriert. Dialoge sind aus narrativer Sicht jedenfalls deutlich spannender als Beschreibungen von Dingen, die man eigentlich auf den Karten entdecken will. Andererseits hat mir, wie schon geschrieben, die Textlosigkeit von 7th Continent sehr gut gefallen.

Zur technischen Seite des Kickstarters will ich mich nicht groß äußern. Die Kampagnen zu 7th Continent liefen beide ziemlich reibungslos und das zweijährige Zeitfenster für 7th Citadel klingt auch realistisch. Höchstwahrscheinlich wird das Spiel aber auch (so wie jetzt 7th Continent) im Retail erhältlich sein.

Ich habe es unterstützt und freue mich schon darauf, mich wieder in den Karten zu verlieren. Und diesmal vielleicht sogar, ohne mich zum Schummeln gezwungen zu fühlen.  

Das letzte Wort

7th Continent ist ein einmaliges Spiel. Man fühlt sich wie eine Entdeckerin und Forscherin, wenn man die Karten mit der Lupe untersucht und darauf essbare Pflanzen oder geheime Objekte erkennt. Mich entschädigt das allemal für die Schwächen der Survival-Aspekte. Absolut empfehlenswert.

Text
Check

Die Anleitung ist übersichtlich und nur an wenigen Stellen etwas schwer zu verstehen. Das Spiel verzichtet an vielen Stellen auf Texte, Dinge auf den Karten zu entdecken macht einfach mehr Spaß, als zu lesen.

Rainbow
Check

Im Grundspiel konnte man fast nur weiße Männer spielen, die Erweiterung schafft etwas mehr Diversität. Absolut unverständlich ist, warum es den misogynen und rassistischen H. P. Lovecraft als spielbaren Charakter gibt.

Solo
Check

Ich habe das Spiel nicht solo gespielt, weil ich gemeinsames Entdecken mehr genieße. Mechanisch funktioniert aber alles gleich wie in der Gruppe. Vielleicht kommt sogar noch mehr das Gefühl von Verlorenheit auf.